Praxis-Tipps

Supermärkte im ländlichen Raum: 
Echte Stützen der Gemeinschaft…

Dieser Beitrag ist Teil 8 von 13 in der Serie Kundengruppen

Fast 78 von 100 Deutschen leben aktuell in irgendeiner Form in der Stadt.

Es mag manchen vielleicht überraschen, aber das Land, dessen Fläche zu gut einem Drittel mit Wald bedeckt ist, gehört gleichsam zur europäischen Spitze, was den Urbanisierungsgrad anbelangt: Fast 78 von 100 Deutschen leben aktuell in irgendeiner Form in der Stadt und nicht im ländlichen Raum. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass keine 23 Prozent der Bevölkerung in klassisch ländlichen Dorfgemeinschaften leben – Zahlen sinkend. Dieser Wert hat zahlreiche Auswirkungen. Die für unsere Branche wichtigste ist jedoch, welche Bedeutung damit Supermärkten sowie artverwandten Märkten in den ländlichen Regionen zukommt. 

Landleben – Distanzleben

Was bedeutet es, auf dem Land zu leben? Aus Sicht von sämtlichen Geschäftstreibenden bedeutet es, eine extrem reduzierte Zielgruppe zu haben. Nehmen wir dazu als Verdeutlichung eine Großstadt aus dem mittleren Bevölkerungssegment wie etwa Bremen. Dort leben pro Quadratkilometer im Schnitt 1740 Personen. Selbst, wenn der Blick auf eine typische kleinere Stadt wie Celle gerichtet ist, sind es immerhin noch knapp 400 Menschen pro Quadratkilometer.

Auf der ganz anderen Seite dieses Vergleichs stehen Dörfer in einer wirklich ländlichen Umgebung. Etwa Kalt im nördlichen Rheinland-Pfalz mit 85 Einwohnern pro Quadratkilometer oder Mühlental im sächsischen Vogtlandkreis mit 32 Einwohnern pro Quadratkilometer – es gibt tausende solcher Beispiele. 

Bevölkerungszahlen im Wandel

Schon diese Bevölkerungszahlen allein sind für jeden, der mit Handel oder Dienstleistungen sein Geld verdienen möchte, ein großes Problem. Sie werden jedoch verstärkt durch die drei Tatsachen, dass: 

  1. typischerweise auch die umliegenden Dorfgemeinschaften nicht signifikant bevölkerungsreicher sind,
  2. im wirklich ländlichen Raum zwischen einzelnen Dörfern oft relativ (für mitteleuropäische Verhältnisse) große Distanzen liegen und
  3. deshalb auf einer gegebenen Fläche mit einer unbestimmten Anzahl von Dörfern eine meist noch deutlich geringere Bevölkerungsdichte zu vermelden ist.

Diese Tatsache ist ein wichtiger Grund, warum es in den vergangenen Jahrzehnten zu einem so eklatanten Dorfsterben kam – ungleich zu dem, was viele denken, handelt es sich dabei jedoch nicht um eine Henne-Ei-Problematik, sondern miteinander verzahnte Wechselwirkungen:

  • Der ländliche Raum kann durch seine Abgeschiedenheit und das geringe Bevölkerungsaufkommen keine nennenswerten Arbeitgeber anziehen.
  • In der Folge verlassen vor allem junge Menschen in recht großer Zahl die Gegend. Unter ihnen auch solche, die eine Karriere als selbstständige Händler oder Dienstleister anstreben. 
  • Damit sinkt die sowieso schon geringe Bevölkerungsdichte, womit sich wiederum die Rentabilität für jeden Gewerbetreibenden in der Region weiter reduziert.
  • Viele Geschäfte und andere Institutionen müssen aufgeben, was das Leben auch für Verbliebene unattraktiver macht, wodurch auch von ihnen immer mehr wegziehen.

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Ab diesem Punkt beginnt der Kreislauf von vorn: Immer mehr Menschen ziehen weg, dadurch lohnt es sich immer weniger, die bestehende Infrastruktur aufrechtzuerhalten. Selbst die aktuell leichte Trendumkehr wird daran auf viele Jahre nicht wirklich viel ändern. Auch, weil der Rückzug einiger in die Dörfer meist zu einem Donut-Effekt führt und das negative Bevölkerungssaldo (noch) nur abschwächt, nicht jedoch umkehrt. Zudem lässt sich kaum abschätzen, ob es ein dauerhafter Trend ist – immerhin ist die Pandemie der maßgebliche Auslöser dafür.

Die Kirche im Dorf lassen – und den Supermarkt davor

Hier kommen nun Supermärkte ins Spiel. Unter welchem Namen sie firmieren, spielt dabei weitestgehend keine Rolle. Was jedoch eine unsagbar große Rolle spielt, ist deren Bedeutung für den ländlichen Raum. 

In einer Zeit, in der es sich beispielsweise vielerorts nicht einmal ansatzweise rentiert, einen klassischen Tante-Emma-Laden zu betreiben, einen Zeitungskiosk, ein Café und ähnliche Orte des Einkaufens und Zusammentreffens, übernehmen Supermärkte eine Schlüsselfunktion. Zwar müssen sie im ländlichen Raum oft notwendigerweise zentral gelegen sein und sind somit für die Masse der Bevölkerung im Einzugsbereich oft nicht sonderlich komfortabel (= ohne Auto) zu erreichen. Dennoch sind sie häufig die einzige Einkaufsmöglichkeit in einem Umkreis von vielen Kilometern. 

Supermärkte übernehmen hier eine Schlüsselfunktion

Der Wert einer solchen Basisversorgung lässt sich kaum abschätzen. In vielen Regionen ist ein einzelner Supermarkt der tatsächlich einzige Dienstleister, der noch eine Vor-Ort-Versorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs ermöglicht –auch unter den großen Supermarkt-Ketten tut sich deshalb schon seit Jahren einiges. Hier wird häufig das bekannte und bewährte Prinzip des Franchisings genutzt, um selbst in sehr abgelegenen Gegenden Kleinst-Supermärkte mit einer Verkaufsfläche im unteren dreistelligen Quadratmeterbereich aufzubauen; ferner wird auch im Filialkonzept gearbeitet und teilweise werden solche Läden auch in Bürgerregie betrieben. Doch ist es nicht nur die reine Einkaufsmöglichkeit an sich, so wichtig diese auch ist. Es ist das, was mit dem Supermarkt einhergeht: soziale Kontakte. 

Nicht nur für ältere Menschen ist der ländliche Supermarkt der oft letzte verbliebene Ort, an denen sie mit Menschen außerhalb ihres direkten nachbarschaftlichen Umfeldes zusammentreffen können – denn wo die Landflucht viele andere Länden sterben lässt, haben auch Vereine jeglicher Couleur keine guten Überlebenschancen. Insofern lässt sich diese besondere Form von Supermärkten unumwunden als vielerorts letzte Stütze der Dorfgemeinschaft ansehen, ohne die das Leben hier grundsätzlich nicht mehr funktionieren würde. 

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Der Dorf-Supermarkt: Ein Sonderfall unter den Supermärkten?

Was unterscheidet einen Supermarkt irgendwo im Wendland oder in den Weiten des Emslandes von einem im Einzugsbereich größerer Städte? Oder anders gefragt: Was müsste jemand tun, der gewillt ist, sich mit einem solchen Projekt zu versuchen?

Der wahrscheinlich wichtigste Punkt ist, sich die Rückendeckung eines großen Konzerns zu sichern – nicht zuletzt Rewe hat mit Nahkauf eine Marke speziell für diese Umgebung geschaffen.  Davon ausgehend sollten die folgenden Punkte berücksichtigt werden:

Top-Punkte für eine erfolgreiche Ansiedlung im ländlichen Raum

  • Es sollte unbedingt die Gesamtregion betrachtet werden. Zwar kann das Konzept eines großen und zentralen Geschäfts mit stark erweiterter Grund- oder gar Vollsortimentversorgung funktionieren; in Regionen mit großen Distanzen zwischen den Dörfern sind jedoch kleinere, gezielter verteilte Läden zur Minimalversorgung ergänzt um einen zentralen (aber dennoch kleinen) Vollversorger oft die bessere Lösung. Hier ist eine exakte Standortanalyse unumgänglich.
  • Es sollte unbedingt zumindest geprüft werden, ob ein zusätzliches, alternatives Einkaufsangebot sich rentiert. Im ländlichen Raum gehören dazu vor allem ladeneigene Kleinbusse für den Kunden- und Warentransport sowie ähnliche Lieferungslösungen. Hier sollte vor allem der Altersschnitt der Bevölkerung eine Rolle spielen – viele ländliche Gemeinden sind stark überaltert; ihre Einwohner sind deshalb wenig mobil. Auch kann geprüft werden, inwieweit über den Markt eine Bürgerbeteiligung in dieser Hinsicht generiert werden kann.
  • Die (Verkaufs-)Fläche der Läden sollte eher geringgehalten sein – mit nur wenigen hundert Quadratmetern, wenn überhaupt. Das Warenangebot sollte sich dafür auf eine konzentrierte Auswahl zu günstigen Preisen fokussieren. Auch sollte es unbedingt regionale Produkte geben, wozu eine Kooperation mit lokalen Landwirten dienlich ist – vielleicht sogar in der Form, dass diese eigene Regalfläche als Ergänzung ihres Hofladens anmieten können. Von zentraler Bedeutung ist in jedem Fall die Parkplatzsituation, da deutlich mehr als die Hälfte aller Kunden auf dem Land als Selbst- oder Mitfahrer mit dem Auto anreisen. Mit der Mobilitätswende im Hinterkopf sollten hierbei auch E-Auto-Ladestationen zur Prüfung gehören
  • Es ist wichtig, das Personal gezielt aus den unmittelbaren Einwohnern zu rekrutieren. Lokalkolorit, Mundart und persönliche (= namentliche) Kundenkenntnisse der Angestellten sind im Charakter des ländlichen Raumes wichtige Entscheidungskriterien, die für eine größere Verbundenheit der Kunden mit „ihrem“ Markt sorgen. 

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Kassenlose Supermärkte….

Zumindest in ländlichen Gebieten mit einem eher niedrigeren Altersschnitt kann auch geprüft werden, inwieweit sich kassenlose Supermärkte rentieren können. Zwar werden diese von einem älteren Kundenstamm teilweise (noch) nicht sonderlich gut angenommen, haben dafür aber bei jüngeren Menschen umso größeres Potenzial. Bei ihnen wirkt auf dem Land vor allem die Tatsache, dass sie dadurch nicht an starre Öffnungszeiten gebunden sind. Das ist in Regionen, in denen jeder Tag von langen Pendeldistanzen geprägt ist, ein nicht zu vernachlässigender Faktor – so können die Kunden beispielsweise problemlos ungewöhnliche Tage und Uhrzeiten nutzen, um sich zu versorgen. 

Aus diesem Grund sollten auch klassische Märkte in dieser Umgebung unbedingt ein gewisses Automatensortiment integrieren (Backwaren, Grillwaren und dergleichen). Um eine Minimalversorgung abseits der Öffnungszeiten zu gewährleisten. 

Und auch wenn es die Gründung aus bau- und verwaltungsrechtlicher Sicht oftmals erschwert, sollte unbedingt auch die Eingliederung von zusätzlichen Dienstleistungen machbar sein. Viele ländliche Märkte sind sowieso auch schon Bank-Ersatz über Cashback-Funktionen. Als darüber hinaus geradezu archetypisch für den ländlichen Raum gelten:

  • Klassische Kiosk-Angebote (Zeitschriften, Tabakwaren, Lotto und dergleichen).
  • Backwaren (sofern der Markt selbst diese nicht ausreichend bereithält).
  • Post-Dienstleistungen.
  • Reinigung.
  • Ein Café bzw. ein ähnlich gestalteter Treffpunkt.

Standortanalysen haben auch hier eine große Bedeutung

Auch hier sollte die Standortanalyse jedoch eruieren, was die Bevölkerung vor Ort wirklich wünscht – in einigen Dörfern ist der Supermarkt gleichzeitig beispielsweise auch Bürgerhaus; nicht zuletzt gibt es vielerorts auch attraktive Förderungen – das Programm in Baden-Württemberg ist nur ein Beispiel für das, was in praktisch allen Bundesländern mit ländlichen Räumen praktiziert wird.

Zudem muss klar sein, dass hier eine bedingungslose Gewinnmaximierung nicht funktionieren wird. Typischerweise liegt der Gewinn derart ländlicher Märkte im unteren fünfstelligen Bereich. Zwar ist es durch die Situation geradezu schwierig, in die roten Zahlen zu rutschen. Doch wird ein ländlicher Supermarkt trotz seiner häufigen Monopolstellung aus den eingangs genannten Gründen keine grenzenlos sprudelnde Geldquelle. Dafür trägt er jedoch eine regelrechte gesellschaftliche Schlüsselverantwortung für den Fortbestand des Landlebens in vielen Regionen.

Was sagt ihr zu diesem Thema? Bitte schreibt uns indes eure Meinung auf Supermarkt Inside oder bei Facebook.

Fotos: siehe Kennzeichnung

Beitragsbild: Stock.abobe.com copyr. magann

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